Bernhard Hennen im Gespräch

"Ich habe lange als Journalist gearbeitet. Aus dieser Zeit habe ich mitgenommen, dass es ganz selten nur eine Wahrheit gibt."

Beitrag von Stefan Cernohuby | 05. April 2018

Bernhard Hennen ist ein Name, der sich langsam aber unaufhaltsam in den Gehörgängen der Fantasyfans festgesetzt hat. Von Romanen für die Rollenspielwelt von „Das Schwarze Auge“ über die Gezeitenwelt, Elfen, Elfenritter und Drachenelfen sind seine Werke immer präsenter und erfolgreicher geworden. Nun startet Bernhard Hennen neben seiner Phileasson-Saga (gemeinsam mit Robert Corvus) auch mit einer neuen Romanreihe bei Fischer Tor durch. „Der Verfluchte“ lautet der Titel des ersten Bandes von „Die Chroniken von Azuhr“. Wir haben ihm dazu einige Fragen gestellt.


Bernhard Hennen

Bernhard, wir treffen jetzt schon seit vielen Jahren auf verschiedenen Messen. Wir sind schon auch schon öfter zum Plaudern gekommen, aber hatten noch nie Zeit für ein richtiges Interview. Du hast nun deinen ersten Roman bei Fischer Tor veröffentlicht. Wie ist es dazu gekommen?

Das ist eine ungewöhnliche Geschichte. Es ist jetzt 2 ½ Jahre her, dass ich auf der Lesung von G. R. R. Martin in Hamburg war. Ich war ein bisschen zu früh in der Halle und saß dann auf meinem Platz. Es war relativ leer, da setzte sich ein großer, schlanker Mann, den ich nicht kannte, neben mich. Er stellte sich vor und es kam heraus, dass er Hannes Riffel ist, der neue Chef von Fischer Tor, der gerade alles aufbaute. Wir haben ein bisschen über Bücher geplaudert - das war der erste Schritt. Es war aber tatsächlich ein Zufall, wir hatten nummerierte Sitze und wir saßen nebeneinander – das Schicksal hat uns wahrhaftig zusammengeführt.

In deinem neuen Roman „Der Verfluchte“, dem ersten Teil der Chroniken von Azuhr, beginnst du mit einer relativ düsteren Ausgangsituation. Hattest du keine Bedenken, dass zart besaitete Leser und Leserinnen das Werk vielleicht zur Seite legen könnten?

Am Ende des Prologs nehme ich an, ja, da sind vermutlich einige abgesprungen. Was in diesem Prolog ins Konzept hineinspielt, ist folgendes: Als Fantasyautor wird man zur Zeit immer mit George R. R. Martin verglichen. Egal was man macht, ist man entweder wie George R. R. Martin oder nicht wie George R. R. Martin. Aber sein Name fällt immer. Bringt man mal eine nette Hauptfigur um, heißt es: Das hat er von George R. R. Martin. Das habe ich auch schon getan, bevor dieser so prominent wurde wie er jetzt ist. Ich schreibe seit 25 Jahren. Ich dachte mir also: Dann treib doch das George R. R. Martin-Spiel auf die Spitze. Ich sage jetzt nicht, was ich tue, aber ein Stück weit ist das der Hintergrund für die Konzeption des Prologs. Manchmal mag ich es, als Autor gerade das zu tun, was gegen die ungeschrieben Gesetze des Schreibens verstößt. Die Resonanz auf den Prolog von Leuten im Literaturgeschäft war in der Regel diese: So etwas habe ich noch nicht gelesen. Auch vom Übersetzer, der das Buch ins Englische übertragen hat.
Noch ein Kommentar zum Prolog, der ist ja im Rahmen einer Werbemaßnahme als Vorab-Veröffentlichung erschienen. Im Laufe dieser Werbemaßnahme meinte man von Verlagsseite, mit 70 Seiten sei er etwas zu lang. Das Format, das wir hätten, um einen solchen Text herauszubringen, wären etwa 50 Seiten. Da die eigenen Texte zu kürzen im Wohlbefinden von Autoren nur knapp hinter dem ziehen von Fingernägeln steht, habe ich dem Verlag folgendes vorgeschlagen: Ihr könnt euch jetzt entscheiden, ob ich den Roman pünktlich abgebe oder ob ihr mir zwei Wochen zusätzlich zum Kürzen gebt, denn das ist die Mindestzeit, die ich brauchen werde. Oder ihr macht das. Vom Verlag kam prompt die Rückmeldung, dass sie es versuchen würden. Der Text ging an zwei verschiedene Lektorinnen und beide haben nach etwa einer Woche das Handtuch geworfen. Sie haben festgestellt, dass der Text nicht kürzbar ist, ohne dass er Schaden nimmt, da alles zu eng miteinander verzahnt ist. Dinge, die in einer Szene nebensächlich erscheinen, werden in einer anderen bedeutsam. Man kann nicht kürzen, ohne das Gefüge der Geschichte zu zerstören. Für mich ist das ein Indiz für einen guten Text.

Und dann ist der Text doch mit seinen 70 Seiten erschienen?

Ja, dann wurde es möglich gemacht, ihn mit 70 Seiten herauszubringen.

Bernhard Hennen

Im zweiten Abschnitt spielst du ein wenig mit den Erwartungen der Leser. Der Protagonist lehnt sich gegen die Pläne seines übermächtigen und omnipräsenten Vaters auf. Er verliebt sich und schmiedet selbst Pläne. Und dann kommt doch alles anders. Macht es dir Spaß den Leser ein wenig auf eine falsche Fährte zu locken?

Ja, unbedingt. Wenn ich Leser bin, finde ich Bücher schrecklich, bei denen ich am Ende des Romans, wenn ich das Buch zuklappe, all das bekommen habe, was ich ab Seite 100 erwartet habe. Ich weiß nicht, wie es dir beim Lesen geht, ich mache mir immer ein Bild, wie die Geschichte weiterlaufen wird. Das variiere ich dann beim Lesen und freue mich, wenn ich überrascht werde und wenn etwas nicht so kommt, wie ich es erwartet hatte. Aber wenn dennoch am Ende alles rund ist und sich ineinanderfügt, werde ich das Buch zufrieden zuklappen und sagen: Diese Geschichte hat mir gefallen. Sie ergeht sich nicht in Klischees und bleibt doch glaubwürdig. Auch wenn die Wendungen überraschend und ungewöhnlich sind, fühlt es sich nicht so an, als seien sie nur um ihrer selbst willen geschrieben. Ein solches Buch wollte ich schreiben. Als Autor versucht man ja in der Regel Bücher zu schreiben, die man als Leser auch gerne lesen würde.

Das ist mir auch so gegangen. Ich habe in meiner Kritik auch erwähnt, dass man nicht das bekommt, was man möchte, beziehungsweise was man als Leser gerne hätte und dass ich das auch gerade deshalb gut finde. Man hätte an einigen Stellen denken können, jetzt kommt ein wenig Klischee mit ins Spiel. Aber das entwickelt sich doch anders.

Ja, besonders zu einer speziellen Wendung gibt es viel Resonanz. Die Leute sind in der Regel an dieser Stelle im Buch sehr überrascht. Gerade weil so viel Vorbereitung in einen quasi totsicheren Plan gesteckt wird. Und dann ändert sich alles und nichts funktioniert mehr.

Du hast dich vor allem mit den verschiedenen Elfen-Reihen über die Jahre immer stärker als Autor etabliert, bist immer präsenter geworden. Wie hat sich das im Hinblick auf dich selbst, auf deine Person geäußert?

Mit dem Erfolg ist folgendes geschehen: Ich hätte jetzt das Geld, um die Reisen zu machen, die ich früher immer gerne gemacht hätte. Leider aber nicht mehr die Zeit. Ich habe weniger Urlaub als zu den Zeiten, als ich das Geld nicht hatte, um sie mir zu leisten. Das ist schwer. Mit der Phileasson-Reihe, die parallel erscheint, Lesungen und allem drumherum, bleibt einfach wenig Zeit. Auf der anderen Seite bin ich mir sehr bewusst, dass ich das Privileg habe, in dem Beruf zu arbeiten, den ich liebe. Und wer tut das schon? Wenn ich in meinen Freundeskreis schaue, sehe ich Leute die in der Stadtverwaltung versauern, irgendwo im Angebotsmanagement. Die damit umgehen müssen, dass sie im August ihren Etat erschöpft haben und bis zum Ende des Jahres sehen können, wie sie mit dem städtischen Gartenbauamt noch irgendwie über die Runden kommen. Die können zwar die Gehälter ihrer Angestellten noch zahlen, aber keinen einzigen Busch für die Stadt mehr kaufen. Das ist nicht lustig. Ja, man zahlt einen Preis, für den Erfolg als Autor, auf der anderen Seite aber bekommt man auch viel geschenkt. Die Messe hier in Leipzig genieße ich sehr. Ich komme viel lieber nach Leipzig, ehrlicherweise, als nach Frankfurt, weil hier der engere Kontakt zu den Lesern da ist. Ich werde auf den Gängen angesprochen und es ist einfach schön.

Bernhard Hennen

Bezüglich deiner Romane. Welcher Roman aus deiner Feder ist für dich der persönlichste?

Der persönlichste ist „Nebenan“. Für einen Fantasy-Roman ist er erstaunlich autobiographisch. Ich weiß nicht, ob du ihn gelesen hast?
Du kennst die neue Ausgabe mit dem ausführlichen Nachwort?

Ja.

Dann weißt du ja, wie viel Autobiographisches hier eingeflossen ist. Ich war lange in einer Schwertkampf-Truppe, wie sie dort beschrieben ist, habe an der Universität in Köln studiert und kenne vieles von dem, was ich beschreibe aus eigenem Erleben. Gerade, wenn sich das Buch am phantastischsten anhört, ist es oft erstaunlich nahe an der Realität. Zum Beispiel dieser Bergwerksstollen unter der Universität zu Köln, der existiert. Das ist keine Fantasy. Der gehört der medizinischen Fakultät. Das ist das nächste Kuriosum. Dort hat man vor hundert Jahren „die schönsten Unfälle in Bergwerken“ für Mediziner simuliert, die ausgebildet wurden, um in Stollen im Ruhrgebiet zu arbeiten.

Wenn du Lesern beschreiben müsstest, wie der Stil deiner Romane ist, was würdest du sagen?

Facettenreich. Ich liebe es aus vielen verschiedenen Perspektiven zu schreiben und dem Leser die Schwierigkeit zu bereiten, dass er sich eine eigene Meinung bilden muss, weil man auf einander widersprechende Wirklichkeiten trifft. Auf Weltbilder, die sich erheblich unterscheiden und auf Leute, die ganz verschiedene Blickwinkel auf die Dinge, die geschehen, haben, so dass man als Leser immer wieder vor den Kopf gestoßen wird und auf die Suche nach der Wahrheit, der eigenen Wahrheit, gehen muss. Ich finde unsere Welt ist so und glaubwürdige Romanwelten sollten auch so sein. Ich habe lange als Journalist gearbeitet. Aus dieser Zeit habe ich mitgenommen, dass es ganz selten nur eine Wahrheit gibt. Ich habe, wenn die Artikel schwieriger waren, es gerne als Stilmittel eingebracht, unterschiedliche Aussagen, verschiedene Blickwinkel gegeneinander zu setzen, ohne diese zu werten oder zu kommentieren. Das habe ich dem Leser überlassen. Denn kombiniert mit Zeitdruck, habe ich mich auch als Journalist manchmal nicht in der Lage gesehen zu sagen, das ist jetzt wahr und das nicht. Hierzu als ein Beispiel eine Situation aus einer Reportage über ein Asylheim: Ich kam dort in ein Zimmer, in dem ein älterer Herr und eine hochschwangere Frau einquartiert waren. Es gab nur ein schmales Bett. Ich fragte, wer darin schläft. Der ältere Herr schlief auf dem Bett, die hochschwangere Frau auf dem Boden. Ich antwortete, das kann ja nicht sein, das sind zwei Leute, da müssten auch zwei Schlafgelegenheiten existieren oder ein größeres Bett, wenn sie ein Ehepaar sind. Die beiden sagten, das war schon immer so, seit dem Tag, an dem sie hier einquartiert wurden. Danach bin ich zum zuständigen Verantwortlichen des Hauses gegangen. Er erklärte mir, dass dort beim Einzug für jeden ein Bett gestanden habe. Was war passiert? Die beiden haben eines davon raustragen und auf dem Trödelmarkt verkauft, behauptete der Leiter des Hauses. Ich hatte nicht die Möglichkeit zu überprüfen, wer von beiden mich gerade angelogen hatte. Ich hatte aber das Glück, genügend Platz zu haben, beide Aussagen in den Artikel zu bringen und die Leser entscheiden zu lassen. Das ist eine Art, wie ich auch gerne als Autor vorgehe.

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Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Robert Corvus für bei der Phileasson-Saga? Wie geht ihr da vor, wenn ihr gemeinsam schreibt?

Die Zusammenarbeit klappt seit 2 ½ Jahren hervorragend. So lange habe ich noch nie mit einem Kollegen so intensiv zusammengearbeitet. Und es geht wunderbar. Wir sind im Schreibstil ähnlich genug, dass es da keine Schwierigkeiten gibt. Beim ersten Band war es so, dass die Lektorin unsere Texte bekam, ohne zu wissen, wer welche Passagen geschrieben hatte und es war ihr nicht möglich anhand der Texte zu ermitteln, was von wem stammte. Außerdem stehen wir bei der Arbeit an den Büchern auf einem stabilen Fundament. Durch die alten Rollenspiel-Abenteuer haben wir eine sehr ausführliche Grundstruktur vorgegeben. Wir haben zu jedem Roman quasi ein dreißigseitiges Exposé und arbeiten uns daran entlang. Wir teilen die Erzählperspektiven strikt auf. Robert schreibt den Phileasson und seine Mannschaft, ich schreibe Beorn und die andere Mannschaft. Bei den Prologen, die recht ausufernd sind, wechseln wir uns ab. In aller Regel ist es so, dass Robert als erster seinen Text fertig geschrieben hat. Den schickt er mir, ich bearbeite diesen Text, dann erst schreibe ich meinen, so dass alles perfekt ineinandergreift. In dem Text, den ich von Robert bekomme, gibt es zu den Lücken, die ich füllen soll, stets auch schon Kommentare, was ich berücksichtigen soll. Damit habe ich die perfekte Vorgabe, um anzupassen und zusammenzuführen. Abschließend überarbeiten wir alles noch einmal gemeinsam. So kommen wir gut voran.

Was sind deine nächsten Pläne? Wird als nächstes der zweite Band der „Chroniken von Azuhr“ erscheinen?

Also ich bin mitten im zweiten Azuhr-Band, der, wenn ich meinen Abgabetermin halte – das ist bei mir immer spannend –, im September erscheinen wird. Danach wird es mit dem nächsten Phileasson-Band weitergehen. Der dritte Azuhr-Band hat dann ein bisschen mehr Zeit. Der wird im Herbst 2019 erscheinen. Ich versuche den zweiten Azuhr-Band erzählerisch auf einen Punkt zu bringen, bei dem man zwar merkt, es kommt noch ein Buch, zugleich aber ein großer Bogen beendet ist und man sich für ein Jahr zufrieden von der Geschichte verabschieden kann.

Ist die Reihe generell als Trilogie ausgelegt oder können da noch mehr Bände folgen?

„Die Chroniken von Azuhr“ sind als Trilogie ausgelegt und die drei Bände sind durchkonzeptioniert. Eine große Geschichte ist mit diesem Zyklus zu Ende erzählt. Aber ich habe eine ganze Welt erschaffen. Mehr würde gehen, aber das hängt vom Erfolg ab. Die Kritiken sind ja bislang durchwegs sehr gut.

Damit bin ich am Ende meiner Fragen angelangt. Ich bedanke mich für das Interview.

Ich bedanke mich für ein sehr gut vorbereitetes Interview. Es ist sehr angenehm als Autor mit jemandem zu reden, der meine Bücher kennt. Danke!

Bernhard Hennen

Bernhard Hennen im Gespräch