Seestadt

von Fritz Lehner
Rezension von Stefan Cernohuby | 14. Februar 2017

Seestadt

Nicht jeder Mensch kann ein Held sein und nicht an jedem Ort werden Heldentaten vollbracht. Denn ein Neuanfang muss nicht immer etwas Positives sein. Fritz Lehner hat in seinem Roman „Seestadt“ einem aus dem Boden gestampften Stadtteil von Wien das Gewand einer Geschichte verpasst. Sie handelt von Leben und Tod inmitten künstlicher neuer Umgebung über einem historischen Schlachtfeld.

Viele fangen in der Seestadt, einem völlig neuen Stadtteil von Wien, ein neues Leben an. Auch Dr. Kellermann ist eine solche Person, allerdings tut er das nicht unbedingt aus eigenem Antrieb. Der ehemalige Dr. Hannes Kittel sitzt den Rest einer Haftstrafe mit einer elektronischen Fußfessel in einer Wohnung in der Seestadt ab. Im Gefängnis war er, weil er seine Frau getötet hat – und weil man ihn trotz akribischer Vorbereitung seinerseits wegen Totschlags verurteilt hat. Nun plant er trotz ständigere Überwachung einen weiteren Mord. Einen perfekten Mord, verübt mit einem Bajonett, von dem noch so viele auf dem einstigen Schlachtfeld unter der Seestadt begraben liegen. Seine Chance kommt, als der Musikerfreund seiner Nachbarin Diana ihm nachts im Stiegenhaus begegnet. Das Bajonett wird eingesetzt und nachher fachmännisch gereinigt. Leider war der Musiker die falsche Wahl, denn der gewalttätige Sänger wurde bereits zuvor von seiner Nachbarin vergiftet. Daraufhin tritt ein pensionierter Beamter namens Wagner auf den Plan, der gerne Columbo spielt. Doch durch einen weiteren Mord, bei dem der Verdacht auf Wagner fällt, schafft ihn Kellermann aus dem Weg. Der nunmehr als Aura-Chirurg arbeitende Kellermann macht sich mittlerweile einen Namen in seinem Beruf und wird zum allseits akzeptieren und beliebten Nachbarn. Doch er selbst kann sein Spiel mit dem Bajonett, seinem Skelett John und seinem nächtlichen Überwacher nicht lassen...

Wie schon eingangs erwähnt, kann nicht jeder Mensch ein Held sein, nicht einmal jeder Protagonist. Denn die Hauptperson in diesem Roman ist ein Mensch, der bereits ohne Reue getötet hat und das auch wieder tun will. Das macht ihn nicht gerade zum Sympathieträger. Dennoch verfolgt man gebannt das, was er selbst als perfekte Planung betrachtet. Doch er ist ein Mensch – und wie alle Menschen ist er fehlbar. Jeder in diesem Buch macht Fehler. Sei es Nachbarin Lisa, der Hobbyermittler Wagner, die den Protagonisten überwachenden Polizisten und nicht zuletzt Kittel-Kellermann (manchmal nennt er sich auch Killermann) selbst. Das Buch zeichnet kein hoffnungsvolles Bild sondern stellt einen Stadtteil vor, der anders ist als der Rest von Wien. Neu, aber provinzieller. Weitläufiger und gleichzeitig unpersönlicher. Jeder lebt weiter und versucht nur, dem Mörder möglichst aus dem Weg zu gehen, wobei mehrere Nebencharaktere eine denkbar schlechte Menschenkenntnis beweisen.
Das Werk selbst bleibt von Anfang bis zum Ende spannend und man fragt sich immer häufiger, wie lange Kellermann seinem Schicksal noch entkommen kann. Das macht das Werk natürlich für Verfechter von Moral, die gerne das Gute triumphieren und das Böse unterliegen sehen, nicht unbedingt empfehlenswert. Leser mit anderem Schwerpunkt werden dem Roman jedoch sicherlich etwas abgewinnen können.

„Seestadt“ bezeichnet nicht nur eine neue Siedlung im 22. Wiener Gemeindebezirk, sondern auch den gleichnamigen Roman von Fritz Lehner, der in selbiger angesiedelt ist. Das Werk, das einen zwar faszinierenden aber dennoch mörderischen Protagonisten besitzt, besitzt zwar keine positive Stimmung aber dennoch genügend Spannung, um den Leser zu fesseln. Wer zu Experimenten bereit ist und nicht darauf besteht, dass ein Held in metaphorisch strahlender Rüstung am Ende alle rettet, wird von diesem Roman bestens unterhalten werden.

Details

Bewertung

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