Die Verlorene

von Miriam Georg
Rezension von Janett Cernohuby | 17. November 2025

Die Verlorene

Schweigen, Verdrängen, Vergessen - oft erscheint uns das als einziger Ausweg, als Heilung für einen Schmerz, der tief sitzt. Doch manche Wahrheiten kann man nicht verschweigen, denn sie suchen sich auf die eine oder andere Weise ihren Weg.

Die Familie, über die keiner spricht

Obwohl Lauras Großmutter Änne oft über den Sommer in Schlesien erzählte, wollte sie doch nie über ihre Familie sprechen. Als Laura nach dem Tod der Großmutter in deren Sachen etwas Seltsames entdeckt, wird sie sich nicht nur des Unausgesprochenen bewusst, sondern neue Fragen kommen auf. Wer war Änne? Warum hat sie nie über ihre Familie gesprochen? Was ist damals Furchtbares in Schlesien vorgefallen? Laura begibt sich auf Spurensuche nach Polen und stößt dabei auf noch mehr Ungereimtheiten. Erst eine zufällige Begegnung und ein nächtlicher Gast bringen endlich Licht in die Vergangenheit und zeigen dabei unendlich großes Leid.

Das Vermächtnis der Mütter, die Zukunft der Töchter

Auf zwei Erzählebenen nähert sich Miriam Georg dem Schicksal von Änne und ihrer Familie an. Dabei zeichnet sie eine komplexe Familiengeschichte, welche durch die politischen und gesellschaftlichen Schrecken der NS-Zeit geprägt ist. Während sich die Gegenwartsebene um Laura dreht, die gerade ihre Schwangerschaft entdeckt hat, am Beginn eines neuen Lebensabschnitts steht, begleiten wir die junge Änne in die Zeit der 1940-iger Jahre. Ihre Familie besaß einen Gutshof in Schlesien, wo sie Pferde züchtete. Schon früh wurden ihre Brüder in den Krieg eingezogen, der eine starb, der andere war verschollen. Änne muss sich verstecken, droht ihr als Epileptikerin die Einweisung in eine Klinik, deren Patient*innen nicht selten ums Leben kommen. Ihre Zwillingsschwester Luise wird zu einer wichtigen Bezugsperson, an die sie sich klammert und die sie mit niemandem teilen möchte. Als schließlich der Kriegsgefangene Karl zum Arbeiten auf den Gutshof gebracht wird, verliebt sich Luise in ihn und ein tragisches Schicksal nimmt seinen Lauf…

Was auf diesem Hof in Schlesien passierte, lässt die Leserschaft nicht unberührt. Inmitten von Kriegswirren und NS-Willkür versucht die Familie ihren Weg zu finden, bleibt, als viele nach Kriegsende nach Deutschland flüchten, übersteht russische und polnische Besatzung. Doch der Preis, den Änne und Luise dafür zahlen, ist hoch. So hoch, dass Änne ihr Leben lang schweigt. Kein Wort kommt über ihre Lippen, stets reagiert sie abweisend auf die Fragen ihrer Tochter und Enkeltochter. Dabei wären die Antworten so wichtig für die beiden Frauen. Denn es geht nicht nur darum, Änne zu verstehen, es geht auch um ihre Identität und das Wissen, wo die eigenen Wurzeln liegen. Vor allem Lauras Mutter leidet sehr unter der Zurückweisung Ännes, ja hat diese mittlerweile selbst so stark verinnerlicht, dass sie, als Laura mit der Spurensuche beginnt, abweisend und desinteressiert reagiert. Doch nach und nach bröckelt die Fassade und bald ist auch sie bereit, sich der schicksalshaften Vergangenheit zu stellen und mit ihr abzuschließen.

Fesselnd und berührend präsentiert sich Miriam Georgs historischer Roman, der ein Familienschicksal zeichnet, das drei Generationen überspannt. Die komplexe Handlung ist voller dramatischer Wendungen, schicksalhafter Begegnungen und Wunden, die sich erst Jahrzehnte später schließen sollen.

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