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Lesung im Uhrenmuseum Wien: Lotti, die Uhrmacherin von Marie von Ebner-Eschenbach

Beitrag von Stefan Cernohuby | 29. Januar 2015

Es ist heutzutage gar nicht so einfach Zeit zu haben. Aber wenn Zeit mit einer Uhr gemessen werden kann, hat man nicht automatisch Zeit, wenn man ein Gerät zur Zeitmessung besitzt? Wo also könnte man mehr Zeit haben, als in einem Uhrenmuseum, genauer gesagt am 28. Januar 2015? Der Andrang der interessierten Gäste in selbigem war größer als erwartet – und nicht alle die Zeit hatten, waren für die Lesung aus Marie Ebner-Eschenbachs Werk angemeldet. Einige mussten bange Minuten im Vorraum warten, da nicht klar war, ob für sie noch ein Platz frei war oder nicht.

Denn der Raum selbst, in dem die Lesung stattfand, war eher klein und karg. Bis auf den Vortragsbereich und das Ziffernblatt einer großen Uhr am anderen Ende sowie Sitzgelegenheiten für die Zuhörer gab es nichts zu sehen – höchstens noch die Fenster in Richtung Kurrentgasse. Bis zu drei Minuten vor der Lesung währte der Besucherstrom und der u(h)rige geladene Fotograf verschaffte sich selbst Platz in der ersten Reihe.
Die Begrüßungsworte von Seiten des Museums lieferten einleuchtende Gründe, selbiges in Verbindung mit Marie von Ebner-Eschenbach aufzusuchen. Zum einen, hatte die Autorin zu ihrem 70. Geburtstag eine Ehrenmitgliedschaft als Uhrmacherin erhalten. Zum anderen, was den viel gewichtigeren Grund darstellte, wird aktuell die originale Sammlung der Autorin ausgestellt.

Für die Neuauflage waren drei Herausgeberinnen verantwortlich, von denen zwei auch gleich darauf zu Wort kamen - die dritte war der Grippe zum Opfer gefallen und musste im heimischen Salzburg verbleiben.
Evelyn Polt-Heinzl brachte gleich zu Beginn zur Sprache, dass eine der bedeutendsten Autorinnen der österreichischen Geschichte keinen Platz mehr im heutigen Lesealltag habe. Etwas, was sehr schade sei, weswegen sie zu dritt den Plan gefasst hatten, ihre bekannteren Werke gemeinsam mit weniger bekannten, aber trotzdem immer noch aktuellen Geschichten zu kombinieren. Die Ergebnisse sollen in vier Bänden erscheinen, „Lotti, die Uhrmacherin“ ist im gerade veröffentlichten zweiten Band enthalten.
Auszüge des Buchs wurden von der bekannten Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin Daniela Strigl vorgetragen, die sich vor allem mit dem Thema Uhren beschäftigten. Darunter eine witzige Einleitungsszene, eine über das Schätzen des Werts von Uhren und auch eine über den Verkauf selbiger.

Das Buch selbst war für seine Zeit, erschienen ist es im Jahr 1880, provokant. Es handelt von einer Frau, welche bei ihrem Vater in die Lehre gegangen ist und selbstständig Uhren repariert sowie baut. In einer Zeit, in denen es Frauen eigentlich immer noch unmöglich gemacht wird, eine derartige Tätigkeit auszuüben. Ebenbürtig ihrem Bruder Gottfried, besitzt sie neben einer geheimen Sammlung auch eine Bibliothek. Sie wandert allein durch Wien, unterhält sich mit Männern und lässt sich gelegentlich von ihrem Ex-Verlobten nach Hause begleiten. Viele derartiger Szenen waren damals Grund genug zur Entrüstung.

Dennoch war es gerade dieses Buch, mit dem die Autorin ihren Durchbruch schaffte. Als erstes ihrer Werke erschien es in der Deutschen Umschau, der zu dieser Zeit wichtigsten Literaturzeitschrift. Das Werk enthält außer der Geschichte noch die eigene Leidenschaft der Autorin für Uhren. Das in der Einladung zur Veranstaltung enthaltene Zitat, „Ich verleihe Fräulein Lotti alle Uhren, die ich selbst gern besitzen möchte.“ sagt schon viel darüber aus.

Das Buch hat mehrere Ebenen. Es berichtet von Großstadtentwicklung, von Beruf und von Liebe. Der Veränderung des Arbeitsverständnisses, von sich ändernden Arbeitszeiten und Arbeitsweisen. Die Autorin selbst hat ihre Bücher nie als Romane bezeichnet, stets als Erzählungen. Ob das ein Grund dafür sein kann, dass ihre Werke heute nur Randerscheinungen sind, ist fraglich.

Ganz ungerührt ließ die Kritik die Autorin nicht. Teilweise reagierte sie direkt auf selbige. Daher gibt es zahlreiche nachträglich bearbeitete, veränderte, erweiterte oder abgeschwächte Passagen. So auch die ursprünglich mehrfach betonte Aussage, dass sie als Frau die Beziehung zu ihrem Ex-Verlobten beendet hatte. Nach erfolgter, verhaltener Kritik war die Aussage zwar immer noch vorhanden, wurde jedoch nicht mehr so oft wiederholt.

Auch das Kunstverständnis der Autorin klingt im Werk stark durch, wobei hier die Grenze zwischen Handwerk und Kunst fließend ist. Am wenigsten als Kunst werden im Buch die Produkte des Poeten-Schriftstellers gesehen, die sich soweit in Richtung Kolportage entwickelt haben, da sie für die Uhrmacherin selbst keine Kunst sind. Was ebenfalls versteckte Kritik ist, da gewissermaßen die Handwerkerin ein besseres Literaturverständnis hat als der Autor.

1895 beschrieb sie in einem Aufsatz die damals in ihrem Besitz befindlichen Uhren – sie besaß die im Werk vorkommenden Zeitmesser zum Teil selbst. Als sie diese allerdings veräußern wollte, wurde sie zweimal daran gehindert – denn Geschäftsfähigkeit hatte man Frauen damals noch nicht zugestanden.

Mit einem Gang durch die Ausstellung der ehemaligen Sammlung von Maria Ebner-Eschenbach endete die Lesung. Diese Ausstellung ist im Grunde überschaubar und im Vergleich mit den vielen anderen Exponaten des Museums sogar recht klein. In einem kleinen Kabinett untergebracht, sieht man mehrere Dutzend Uhren, aus unterschiedlichen Epochen. Aber wer diese und das Uhrenmuseum selbst näher in Augenschein genommen hat, die Details betrachtet hat und versucht die zugrunde liegende Mechanik zu verstehen, der begreift, warum die Autorin derartige Begeisterung für die Uhrmacherei entwickelt hat – und ist spätestens da neugierig darauf geworden, das Buch zu lesen.