Das neue Wir


Warum Migration dazugehört: Eine andere Geschichte der Deutschen
von Jan Plamper
Rezension von Manfred Weiss | 18. März 2019

Das neue Wir

Millionen Menschen strömen über die Grenzen, suchen Asyl, Arbeit, Glück, Wohlstand, Sicherheit, eine neue Heimat. Ihre Motive stehen seit jeher unter Verdacht. Doch auch Migration hat eine lange, vielfältige und sich oft wiederholende Geschichte.

In “Das neue Wir” zeichnet Jan Plamper die Geschichte der Migration von und nach Deutschland im Laufe der letzten Jahrhunderte nach. Etwa die Auswirkungen des 2.Weltkrieges auf verschiedene Bevölkerungsbewegungen, aber auch jene aus dem Entstehen und Vergehen der Deutschen Demokratischen Republik. Parallel dazu skizziert er auch die Geschichte der Gastarbeiter in den 1960er und 1970er Jahren. All das mündet letztlich in einer Darstellung und geschichtlichen Einordnung der Migrationsbewegungen der letzten Jahre.

Fussball und Migration

Jan Plamper bietet in einfach lesbarer und gut strukturierter Form einen Überblick zum Thema Migration. Er findet dabei zu spannenden Thesen, wie etwa jener, dass die Öffnung Deutschlands im Zuge der Fußball WM 2006 als völkerverbindendes Event letztlich noch bis zur ersten - in hohem Maße Willkommen heißenden - Reaktion auf die Flüchtlingswelle 2015 nachgewirkt hat.

Auch mit dem Sprachgebrauch zu den neu oder schon länger Zugewanderten befasst sich das Buch und erläutert etwa Begriffe wie “Plusdeutsche” oder “Deutsche Plus” und versetzt sich in die Situationen von Zuwanderern der verschiedenen Generationen.

Ausführlich beschäftigt sich Plamper mit der Gastarbeiterbewegung der 60er und 70er Jahre. Damals hatte die Suche nach Arbeitskräften dazu geführt, dass Arbeiter aus Italien, Griechenland und der Türkei ins Land geholt worden waren um den lokalen Arbeitskräftebedarf zu befriedigen. Mit dem klaren Ziel, dass die Gastarbeiter nach festgesetzter Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Was auch die meisten gemacht haben. 11 von 14 Millionen Gastarbeitern sind damals wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt.

Spannend, dass parallel auch in der DDR ähnliche Arbeitskräftebewegungen stattgefunden haben. Dort natürlich aus Ländern wie Mosambik, Vietnam, Angola oder Kuba.

Wie sich überhaupt ein zentrales Kapitel des Buches mit einer Analyse der Auswirkungen der Gründung der DDR und den dadurch ausgelösten Migrationsbewegungen befasst, aber auch den innerdeutschen Migrationsfolgen nach dem Zerfall der DDR.

Über die Zeiten hinweg

Intensiv beschäftigt sich das Buch mit einer kritischen Bewertung eines anderen Buches zu einer ähnlichen Thematik - Thilo Sarrazins “Deutschland schafft sich ab” - zu dem Jan Plamper in vielen Punkten Gegenthesen präsentiert. Etwa jener, dass jede historische Bewertung immer eine Momentaufnahme der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Situation ist. Als Beispiel mag dazu die Migrationsbewegung im 19.Jahrhundert von Deutschland weg in Richtung Amerika dienen, wo heute fast 50 Millionen US-Amerikaner angeben, deutsche Vorfahren zu haben.

Zentrales Anliegen des Buches ist natürlich auch die Aufarbeitung der Migrationsbewegungen der letzten Jahre und wie Deutschland damit umgeht. Dieser Teil bleibt ungleich offener, da die Geschichte hier noch nicht abgeschlossen ist, sondern wir uns mittendrin befinden. Doch, und das ist die grundlegende These des Buches, mit nicht so anderen Sorgen, Ängsten, Erwartungen, wie es sie auch im Zuge anderer Migrationsbewegungen immer wieder gegeben hat.

Abgerundet wird das Buch im Anhang von einer ausführlichen Zeitleiste zu den verschiedenen Migrationsbewegungen seit 1945, die das Geschriebene in kompakter Form nochmal zusammenfasst.

“Das neue Wir” ist ein Buch für Leserinnen und Leser, die an einer Aufarbeitung der Geschichte der Migration von und nach Deutschland interessiert sind, mit dem klaren Anspruch Migration nicht zuallererst verdammen, sondern vor allem verstehen und historisch korrekt einordnen zu wollen. Es ist eine Mischung aus Fakten, Erfahrungsberichten und eigenen Thesen. Wobei sich “das neue Wir” vermutlich auch auf ein einfaches “Wir” verkürzen ließe.

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