Der Osten ist ein Gefühl


Über die Mauer im Kopf
von Anja Goerz
Rezension von Manfred Weiss | 30. September 2019

Der Osten ist ein Gefühl

[Werbung]
Auch dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist sie für viele Menschen in ihrer Erinnerung noch immer da. Unvergessbar und unverdrängbar. Als Symbol der Spaltung eines Landes. Eine manifeste, willkürliche Grenze. Eine Teilung ohne Sinn.

In „Der Osten ist ein Gefühl - Über die Mauer im Kopf“ stellt Anja Goerz Gespräche mit dreißig Personen vor, die entweder in Ostdeutschland geboren wurden, in der DDR gelebt haben oder die stark von der Trennung von Ost- und Westdeutschland, beziehungsweise der deutschen Wiedervereinigung betroffen waren und sind. Die Auswahl der Gesprächspartner scheint zufällig. Die aufbereiteten Schilderungen und Erinnerungen folgen vor allem der Frage, wie die Personen die Trennung und Wiedervereinigung von Ost und West erlebt haben und immer noch erleben.

Als die Mauer fiel

Das Buch ist ursprünglich 2014 erschienen und liegt jetzt in einer bearbeiteten Taschenbuchausgabe vor. Es passt damit natürlich bestens zum dreißigjährigen Jubiläum des Mauerfalls. Wenig ist den Gesprächen über diese Jahre hinzuzufügen. Trotz des Zeitablaufs hat sich kaum mehr geändert, als dass mittlerweile zwei der Gesprächspartner verstorben sind und einige weitere ihren beruflichen Schwerpunkt verändert haben.
Keiner der Gesprächspartner ist erst nach dem Mauerfall geboren. Diese Generation bleibt ausgespart. Es wird ihr vorbehalten bleiben, das wiedervereinte Deutschland neu zu definieren und zu leben.
Die Interviewpartner erzählen variantenreich von ihrem Leben in Ost- und Westdeutschland, vom Moment des Mauerfalls und von der Zeit danach. Eine Zeit die stark von Verlust geprägt war. Dem Verlust gewohnter Lebensmittel, gewohnter Musik, teilweise gewohnter Jobs und auch Beschäftigungssicherheit.

Veränderung und Wiedervereinigung

Die Wiedervereinigung Deutschlands hat bei weitem nicht nur Gewinner produziert. Im gleichen Prozess ist für die Menschen in der DDR viel Altgewohntes zusammengebrochen. Der vom Staat dämonisierte und von vielen sehnsüchtig herbeigesehnte Westen war plötzlich greifbar und erreichbar. Gleichzeitig mit dem Mauerfall in Berlin blieb die geographische Trennung jedoch bestehen. Viele wirtschaftliche und soziale Unterschiede sind bis heute nicht aufgelöst, viele langgehegte Vorurteile haben unverändert Bestand. Deutschland ist mit der Wiedervereinigung größer und vielfältiger geworden. Nicht jedem gefällt das.

Das Buch ist in der Kürze der einzelnen Beschreibungen gut lesbar. Auch wenn das eine und sich wiederholt, bleibt am Ende doch ein Interesse nach mehr. Nach weiteren Erfahrungen und Geschichten. Bei einigen Gesprächen macht es auch Spaß das eine oder andere Erwähnte nachzuhören/sehen/lesen, wie z.B. das Lied „Spielverderber“ von Inka Bause oder andere Fernseh-, Film und Musikbezüge.
Interessant ist auch die Illustration des Buches, für die viele der Gesprächspartner jeweils ein aus ihrer Sicht wichtiges/typisches Foto beigesteuert haben. Viele davon Kindheitsfotos. Erinnerungen an eine Kindheit in der DDR. Kindheit, die sich letztlich manchmal vermutlich nicht so sehr zwischen Ost und West unterschied.

„Der Osten ist ein Gefühl“ ist ein Buch für alle, die an lebendig dokumentierter Zeitgeschichte interessiert sind, an persönlichen Meinungen, Eindrücken und Erinnerungen. Es ist weder eine geschichtliche Aufarbeitung noch ein Nostalgiebuch und erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Ausgewogenheit der Meinungen. Die im Untertitel erwähnte „Mauer im Kopf“ bleibt real, wenngleich vielleicht weniger als tatsächliche Grenze, denn mehr als ein Trauma, das fast dreißig Jahre ein Land und damit viele Leben geprägt hat und es oft immer noch tut.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Genre:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    08/2019
  • Umfang:
    208 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • ISBN 13:
    9783423349673
  • Preis (D):
    11,90 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Illustration:

Könnte Ihnen auch gefallen: