Odins Söhne

von Harald Gilbers
Rezension von Elisabeth Binder | 22. Oktober 2015

Odins Söhne

Nicht schon wieder ... ein Krimi aus dem Berlin der (Zwischen-)Kriegszeit, mögen sich die Freunde und Freundinnen der Kriminalliteratur denken. Bleibt neben Volker Kutscher und seiner Serie um Gereon Rath, neben Philip Kerr, Martin Keune und der lang und ehrgeizig angelegten Serie "Es geschah in Berlin" rund um Kommissar Hermann Kappe überhaupt noch Platz genug für einen Kriminalbeamten der Berliner Mordinspektion? Seinen ersten Auftritt hatte Richard Oppenheimer in Harald Gilbers Debütroman "Germania" im Jahr 2013. Der Autor, der bis dahin hauptberuflich für Fernsehen und Theater tätig war, konnte mit diesem Buch gleich den renommierten Friedrich-Glauser-Preis gewinnen. Zwei Jahre später legt Gilbers also nun den zweiten Band rund um Richard Oppenheimer vor.

Das 1000-jährige Reich neigt sich dem Ende zu, seit dem gescheiterten Fluchtversuch von Richard Oppenheimer und seiner Frau Lisa sind sieben Monate vergangen. Richard Oppenheimer lebt noch immer in Berlin, allerdings nicht mehr im "Judenhaus", also dem nicht so wirklich "geschützten" Wohnbereich für Juden in sogenannten Mischehen. Mit Hilfe seiner Bekannten Hilde, einer Ärztin mit rauer Sprache, großem Herz und viel Mut, konnte Oppenheimer untertauchen, nachdem er offiziell für tot erklärt wurde, und lebt nun mit gefälschten Papieren als Hermann Meier weiterhin im zerbombten Berlin und arbeitet als Nachtwächter in einer Bank. Seine Frau Lisa sieht er nur mehr ein Mal die Woche in klandestinen Treffen am Bahnhof Zoo.
Mitte Januar 1945 ist es in Berlin bitter kalt und an den Endsieg glauben nicht einmal mehr eingefleischte Nazis. Einer davon ist Hildes Noch-Ehemann Erich Hauser, der als Arzt eine steile und einschlägige Karriere in der SS machen konnte. Mit einem Schwarzmarktgeschäft will sich Hauser genügend Geld beschaffen, um seine Flucht in die Hände der im Westen vorrückenden Alliierten zu finanzieren. Oppenheimer soll dabei mit seinen ehemaligen beruflichen Kontakten im Milieu der Kleinkriminalität den Vermittler machen. Die Sache läuft, fast schon erwartungsgemäß schief, eine Leiche taucht auf, Hilde wird eines Mordes bezichtigt und kommt vor das berühmt-berüchtigte Volksgericht. Ein Rechtsanwalt und ehemalige Flamme von Hilde engagiert Oppenheimer, um ihre Unschuld zu beweisen - während vom Osten die russischen Truppen anrücken und von oben weiterhin Bomben fallen.

Mehr sei an dieser Stelle nicht vom Inhalt verraten, auch wenn es dem Lesevergnügen ganz sicher keinen Abbruch tun würde, denn die Krimihandlung ist nur ein Teil eines atmosphärisch sehr stimmigen Romans. Wie bereits in "Germania" erstreckt sich die Handlung auf eine überschaubare Zeitspanne, nämlich auf drei Monate. Historisch gesehen endet der Roman zwei Monate vor der endgültigen Kapitulation Deutschlands. Gilbers gelingt es eindrucksvoll - aus der sicheren Distanz von 70 Jahren - den zunehmend absurden Alltag in den letzten Tagen des 1000 jährigen Reichs aus der Sicht seiner Protagonisten zu schildern. Das funktioniert deshalb so gut, weil der Autor sich einerseits genau, und damit ist auf weiten Strecken tagesgenau gemeint, an die historischen Tatsachen hält und andererseits persönliche Quellen, wie beispielsweise die Kriegstagebücher von Luise Rinser und Viktor Klemperer verwendet, um das Innenleben seiner Figuren authentisch zu vermitteln. Gänsehaut entsteht daher an vielen Stellen nicht dort, wo die banalen Verbrechen passieren, sondern da, wo die Verbrechen der Diktatur im Originalwortlaut zur Schau gestellt werden. Gilbers baut nahtlos Zitate und Originalquellen in den Text ein. Gerade die aus heutiger Sicht absurdesten Formulierungen, zum Beispiel die Endkampf-Einstimmung der Volkssturmrekruten und die Rechtsprechung am Volksgerichthof, sind echt. Es lohnt sich daher, das kurze Nachwort zu lesen, nur um nicht zu vergessen, dass die zeitweise haarsträubende Handlung mehr oder weniger reale Ereignisse darstellt.

Die enge Verwobenheit zwischen Krimihandlung, historischer Präzision, gut recherchierter Alltagsgeschichte und der empathische Umgang des Autors mit den Figuren seines Romans macht "Odins Söhne" zu einem spannenden Buch. Unterstützt wird das durch Gilbers souveränen Umgang mit Sprache, die in Krimis oft weit hinter der Handlung kommt.

Auf seiner Facebook Seite verspricht Harald Gilbers den dritten Band der Richard Oppenheimer Serie für 2017. Bis dahin heißt es noch warten. Aber da waren ja noch Volker Kutscher, Martin Keune und der eine oder andere Koffer in Berlin...

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gewalt:

Könnte Ihnen auch gefallen: