Die Töchter von Ilian

von Jenny-Mai Nuyen
Rezension von Stefan Cernohuby | 30. Mai 2019

Die Töchter von Ilian

Wer mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht wird, hat es später nicht unbedingt leicht, erfolgreich zu sein. Was in Sport und Politik gilt, ist auf die Schriftstellerei genauso anzuwenden. Doch Jenny-Mai Nuyen hat sich, ihrem anfänglichen Status als Jung-Autoren-Wunder zum Trotz, über die Jahre als Autorin etabliert. Bei Fischer Tor ist nun ihr neues Werk „Die Töchter von Ilian“ erschienen, das zwar ein Fantasyroman ist, aber viele aktuelle Themen aufgreift.

Walgreta ist zunehmend verzweifelt. Die Angehörige des kleinen Volks ist in ihrem siebten und letzten möglichen Lehrjahr als Weise Frau. Doch auch bei ihrer siebten Lehrerin ist klar, dass sie nicht deren Nachfolge antreten wird. Denn diese teilt ihr mit, dass ihr ein ganz anderes Schicksal bevorsteht – und verbannt sie aus dem magischen Hain.
Während der langsamen Rückkehr zu ihrem Volk – sie hat keine Lust als Versagerin abgestempelt zu werden – macht sie zwei Bekanntschaften, die ihr weiteres Leben prägen werden. Zum einen ist das Fayanú, ein Elfenmann in einem Frauenkörper und Besitzer eines uralten magischen Artefakts. Und da ist der Urier Rianon, mit dem sie vorerst nur ein flüchtiges Gespräch führt. Im Laufe des Buchs stellt sich herauf, dass zwei Personen mit der Aufgabe betraut sind, bestimmte der existierenden Artefakte mit uralter Magie für ihr jeweiliges Volk zu beschaffen. Doch die Wege des Schicksals sind genauso verschlungen wie die Liebe, die Personen zusammenführt und wieder auseinanderreißt. Leidenschaft, Verlust und verschiedene der Iliaden spielen eine große Rolle – und welches der Artefakte letztendlich das zukünftige Geschick der Menschen, Elfen und Zwerge bestimmt, bleibt bis zum Schluss offen.

Fantasie, Magie und Liebe und etwas Erotik sind die Hauptbestandteile des über 600 Seiten starken Romans von Jenny-Mai Nuyen, der sowohl Leser als auch Protagonisten viele Berge und Täler durchqueren lässt, bevor die Handlung aufgelöst wird. Dies kann man sowohl metaphorisch als auch wortwörtlich verstehen, denn Reisen machen einen Gutteil des Werks aus. Dabei stehen die Protagonisten im Zentrum, die sich selbst in unterschiedlichen Rollen wahrnehmen und sich dann selbst wieder erfinden und wiederentdecken müssen – völlig anders als sie selbst je im Sinne hatten. Ob das nun als Königin oder Mutter ist, als geliebter oder Ehepartner, hat in jedem Fall große Auswirkungen. Mancher kritische Leser könnte sich fragen, ob man einige Abschnitte nicht auch hätte etwas straffen können, doch das wäre vermutlich auf Kosten des Stils gegangen. Dieses Buch benötigt seine Zeit. Sexualität und Liebe ist in diesem Werk genauso wandelbar wie die geschlechtliche Identität, die im Fall einiger Charaktere wechselhaft ist. Das mag mitunter verwirren, macht aber der Kern einiger Protagonisten aus. Wer ein derartiges Werk nicht lesen möchte, sollte hierum einen Bogen machen. Alle anderen, die offen für Vielfalt sind, können hier einen spannenden, stimmungsfallen Roman entdecken.

„Die Töchter von Ilian“ ist ein Fantasyroman von Jenny-Mai Nuyen, der sowohl lange Reisen, Magie, uralte Artefakte als auch Liebe in beinahe allen Spielformen und Erotik beinhaltet. Das über 600 Seiten starke Werk hat seine ganz eigene Erzählgeschwindigkeit. Fakt ist, man muss offen für alles sein, wenn man es liest – denn es ist definitiv keine klassische gradlinige Fantasy. Aber wenn man das ist, kann man mit diesem Roman schöne Lesestunden erleben.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gewalt:
  • Gefühl:
  • Erotik:

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