Nirgendland

von Fräulein SpiegeL
Rezension von Stefan Cernohuby | 11. Dezember 2019

Kaum jemand von uns kann sich ein Leben ohne Spiegel vorstellen. Für viele handelt es sich nur um ein einfaches Werkzeug, um sich selbst zu betrachten. Doch Spiegel können so viel mehr sein, vor allem wenn man sie nicht als Konstrukte betrachtet, sondern ihr Potential berücksichtigt. Die Möglichkeit zur Verwirrung, die Gefahren von Splittern und insbesondere die Magie, die Spiegeln innewohnt. Fräulein SpiegeL hat einen Namen, der suggeriert, dass sie weiß, wovon sie spricht. Oder eben schreibt, wie in ihrem Roman „Nirgendland“.

Als Lil-Laë auszieht, um ihren zweiten Namen zu suchen, begegnet sie einem namenlosen Zauberer. Einem Spiegelzauberer. Doch sie lässt sich von ihm weder abschrecken noch vertreiben. Und so verrät er ihr, dass sein Name Lîskith von den Spiegeln sei. Und sie gewinnt sein Herz. Oder eben das, was von seinem Herzen noch übrig ist, obwohl eine Spiegelscherbe darin steckt. Als die geflügelte Arkhalaéyi den Zauberer mit zu ihrem Volk nimmt, trifft er nicht unbedingt auf viel Gegenliebe. Und das hat auch seine Gründe – unabhängig von seinem gefährlichen Kampf gegen die Traumblumen – denn etwas folgt ihm, dessen Vergangenheit und zweiter Name immer noch unbekannt sind. Und das hat schreckliche Auswirkungen.
Jeónathar weiß nicht viel über seinen richtigen Vater. Nur, dass er ein Zauberer war und die Heimat seines Volkes schon verlassen hatte, als er noch ein Kleinkind war. Doch die Seherin hat keinen zweiten Namen für ihn – und so kann Jeó nie wirklich erwachsen werden. So setzt er schließlich seinen Willen durch und geht, wie einst seine Mutter, auf die Suche. Ausgestattet mit dem gläsernen Pendel seines Vaters folgt er einem gefährlichen Pfad aus Spiegelscherben, trifft Irrlichter auf der Suche nach dem Spiegelprinzen und einem verlorenen Teil seines Vaters. Doch was wartet am Ende der Suche? Was hat es mit dem Sternenmal auf Jeós Stirn auf sich? Und in was für ein größeres Spiel verstrickt er sich da unbewusst?

Die Realität umgibt uns, die Phantastik dagegen ist ihr Spiegel. Mit beiden werden wir tagtäglich konfrontiert und können uns (manchmal) bewusst entscheiden, was davon wir in uns aufnehmen und was nicht. Fräulein SpiegeL ist sichtlich eine Person, die weit herumgekommen ist. Die viel gesehen hat und der man das auch anmerkt. Vor allem, weil sich in dem, was sie geschaffen hat, viele kleine Splitter eingeschlichen haben. Splitter davon, was berührt und was tiefe Schnitte hinterlassen hat. Ob K’ha nun ein Rad ist oder ein Sonderling in einem magischen Zoo für Kuriositäten landet, ob man einer Schwachstelle in der Realität nicht zu nah kommen sollte, wahren Namen Macht innewohnt oder eine ganz andere Reflexion auf einem Spiegeltor zu sehen ist, man fühlt mit. Man weiß nicht alles, kennt nicht alles, aber man glaubt Fragmente zu erkennen, die man selbst schon einmal gesehen hat. Ein Sternenspiel, ein magisches Tarot, bei dem gewisse Karten immer von Relevanz sind. Wer ist Fräulein SpiegeL also? Jemand, der dem Leser ebenfalls einen Spiegel vorhält? Vielleicht. Doch vor allem ist das Buch eine Reise in zauberhafter Sprache, bei der es wenige Ecken und Kanten gibt. Man weiß als Leser bis zum Ende nicht genau, wo die Reise hingeht. Und dann weiß man erst recht nicht, ob die Reise nun zu Ende ist oder ob sie gerade erst begonnen hat. Als Teil eines viel größeren Abenteuers. Aber so ist das mit Spiegeln. Man kann nie sicher sein, was man gerade gesehen hat. Ein Abbild seiner selbst oder doch einen Einblick in eine gänzlich andere und doch vertraute Welt.

„Nirgendland“ ist der erste Roman von Fräulein SpiegeL. Ein Werk, das nicht besser zum Namen der Autorin passen könnte, denn es geht hauptsächlich um Spiegel, um Magie, um Splitter und um eine Suche nach der eigenen Identität, die irgendwo hinter den zersplitterten Reflexionen liegt. Es ist ein zauberhaftes, unvorhersehbares Buch mit Elementen, die dem Leser dennoch bekannt vorkommen. Es kann all jenen Liebhabern von Phantastik empfohlen werden, die keine Angst davor haben, den Weg zu verlieren und sich ganz woanders wiederzufinden.

Details

Bewertung

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