Schuss - Die geheime Dopinggeschichte des Fußballs

von Thomas Kistner
Rezension von Stefan Cernohuby | 19. November 2015

Schuss - Die geheime Dopinggeschichte des Fußballs

Helden sind etwas Wunderbares. Man kann zu ihnen aufblicken und sich vorstellen, ähnliche Leistungen zu vollbringen. Heute sind es weniger mythologische Recken, zu denen die Menschen aufblicken, sondern Sportler, in unseren Breiten insbesondere Fußballer. Doch geht es mit der Leistung der erwähnten Helden immer mit rechten Dingen zu oder lohnt es sich, schon einmal Blick hinter die Kulissen zu werfen? „Schuss – Die geheime Doping-Geschichte des Fußballs“ legt dies zumindest einmal nahe.

Wenn man sich als Österreicher die Qualifikation zu einer Endrunde der Fußball-Europameisterschaft ansieht, dabei verfolgt wie ein Team nach dem anderen besiegt wird und sich das Team sogar zwei Spiele vor Deutschland qualifiziert und ungeschlagen bleibt – ja, da kann man wieder an Helden glauben. An ein Team aus Helden, angeführt von einem Schweizer Taktik- und Trainingsgenie, der auch die Trainingslager für den Erfolg mitverantwortlich macht. In Spanien.
Spanien, der Heimat von Dopingkönig Fuentes, dem Königreich des Fußballs mit Mannschaften wie Real Madrid und dem FC Barcelona? Genau dort.
Schon seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts traten immer wieder Ungereimtheiten, Leistungssteigerungen und vor allem Folgeschäden auf. Spieler aus unterschiedlichen „Wunderteams“, denen vor wichtigen Matches „Vitamine“ gespritzt wurden. Auch in späteren Jahren gab es interessante Vorfälle, so wie kollektiver Gedächtnisverlust. Oder gezielter, so wie bei Kaiser Beckenbauer, der heutzutage sogar einen bösen Doppelgänger für frühere Doping-Statements verantwortlich macht. Vermutlich hat dieser sogar für ihn fatale Dokumente unterzeichnet. Dazu kommt ein über die Jahrzehnte immer körperbetonterer, athletischerer Sport, mit mehr Spielen und höheren Anforderungen. Es gibt Großveranstaltungen, bei denen keine unangekündigten Dopingkontrollen mehr erlaubt sind und wo die Proben erst einmal 2.000 Kilometer zum (nächsten?) Labor transportiert werden. Dubiose Ärzte, Pillen, Spritzen, Bestechungsgelder, Verletzungen negierende Schmerzmittel, behinderte Kinder und Todesfälle – reicht das nicht aus, um einen medialen Aufschrei auszulösen? Leider nicht, meint Thomas Kistner.

Das Buch beginnt bereits in den frühen Jahren des Fußballs. In einer Zeit, in der Dopingkontrollen in den meisten Sportarten noch nicht einmal angedacht wurden. Es berichtet über Zeitabschnitte, in denen Sportler unwissentliche Versuchskaninchen waren, über zentral organisierte Dopingsysteme wie in Russland und von einzelnen Trainern, die mit ihren Beratern und medizinischen Betreuern immer dieselben Auswirkungen auf die von ihnen betreuten Teams hatten. Alles nur Verschwörungstheorien? Leider muss man bei den vielen verbürgten und nachweisbaren, aber kleingeredeten Fällen vom Gegenteil ausgehen. Denn die Grenzen, wo medizinische Betreuung aufhört und wo Doping beginnt, werden immer wieder neu ausgelotet. Ernüchterung macht sich beim Leser breit, wenn man bestimmte selbst erlebte Ereignisse nochmals Revue passieren lässt und erneut darüber nachdenkt, was hinter selbigen eigentlich stecken muss. Dementsprechend ist es natürlich kein sehr positives Werk, das einem Fußballfan durchaus gehörig den Abend vermiesen kann. Denn mit Statements wie „Im Fußball macht Doping gar keinen Sinn“ lässt man sich dann nicht mehr überzeugen. Für kritische Leser ohne Berührungsängste ist das Werk daher zu empfehlen.

„Schuss – die geheime Doping-Geschichte des Fußballs“ von Thomas Kistner ist nicht nur eine Aufarbeitung der Geschichte des Dopings in Deutschlands liebstem Sport, sondern auch ein Denkanstoß für den Leser. Um gewisse Statements zu hinterfragen, Leistungsexplosionen, Arztbesuche und Behandlungen in neuem Licht zu betrachten und sich die Macht der Verbände begreiflich zu machen. Es handelt sich um kein positives Werk, aber um ein interessantes und wichtiges. Vielleicht sieht man danach einige Ereignisse mit anderen Augen.

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