Stadt am Meer

Antolin Quiz
von Joanne Schwartz, Sydney Smith (Illustrator*in)
Rezension von Janett Cernohuby | 10. April 2018

Stadt am Meer

Sie sind noch nicht lange verschwunden, doch viele Bergwerkstädte gehören der Vergangenheit an, wurden aufgegeben, vergessen oder in museale Ausflugsziele umgewandelt. Einst waren sie Zuhause zahlreicher Familien, deren Väter täglich hinabfuhren, um nach Kohle und andere Mineralien zu graben, und deren Kinder ihnen nachfolgen sollten. Joanne Schwartz erzählt in ihrem Bilderbuch "Stadt am Meer" von einer solchen Bergmannsfamilie und fängt für den Betrachter eine Welt ein, die unwiederbringlich vergangen ist.

Glück auf!

Jeden Morgen wird er vom sanften Rauschen des Meeres, von den Schreien der Möwen und dem Wispern des Wiesenkerbels geweckt: ein kleiner Junge, dessen Elternhaus am Meer steht und dessen Zimmerfenster einen Blick auf selbiges gibt. Wenn er morgens aufwacht, ist sein Vater schon lange zur Arbeit gegangen. Ist zusammen mit seinen Kumpels eingefahren in die Stollen unter dem Meer, um nach Kohle zu graben. Währenddessen spielt der Junge draußen mit seinem Freund, schaukelt und geht am Nachmittag für die Mutter einkaufen. Am Abend dann kommt der Vater von der Arbeit nach Hause. Mit einem Gesicht, schwarz vom Kohlenstaub, aber gesund und wohlbehalten. Dann essen sie einen Eintopf, sitzen auf der Veranda und schauen hinauf aufs Meer. Auf das Meer, unter dem der Vater nach Kohle gräbt. Unter dem auch irgendwann der Junge nach Kohle graben wird.

Lebenswege die Generationen prägten

"Stadt am Meer" - ein Titel, der uns sofort idyllische Bilder in den Sinn kommen lässt. Weiße Strände, an denen Kinder spielen und hinter denen das Meer beginnt. Wohl niemand wird aber an Kohlbergwerke und Untertagebau denken. Und dennoch geht es in "Stadt am Meer" genau darum. Es erzählt die Geschichte eines Jungen, dessen Vater Bergmann ist, dessen Großvater Bergmann war und der selbst einmal Bergmann werden wird. Eines Tages, wenn er "an der Reihe" ist.
Die Geschichte, wenn man sie so nennen kann, ist ein Rückblick in eine längst vergangene Zeit. Sie spielt in den 1950er Jahren und erlaubt uns, einen Tag lang einen Jungen zu begleiten. Vom Morgen an, wenn er aufwacht und sein Vater bereits ins Bergwerk einfährt, bis zum Abend, wenn der Vater müde zurückkommt. Wir sehen wundervolle Landschaften, Sonnenschein und einen herrlichen Blick aufs Meer hinaus. Wir sehen aber auch die Dunkelheit und Schwärze des Bergwerks, in dem der Vater schuftet, während der Sohn draußen spielt. Beides wechselt sich ab, ergänzt sich, gehört zusammen. Man empfindet es nie als Bruch, denn das ist es auch nicht. Die Geschichte will nicht die Schwere und die Härte zeigen, der ein Bergmann ausgesetzt war. Sie spricht nicht von Grubenunglücken, von Krankheit, von dem Los, das Sonnenlicht kaum zu sehen. Nein, sie zeigt eine Momentaufnahme aus dem Leben des Jungen, wie es sie in den 1950iger Jahren viele gegeben hat. Sie erzählt vom Leben in einer Kohlebergbaustadt, in der auch die Autorin einst aufgewachsen ist.
Dieses Erzählen passiert übrigens mit wenigen, aber gezielt eingesetzten Worten. Sie wirken fast nüchtern, wie ein Bericht. Doch dann sieht man die Bilder, denen auf der einen Seite die Gesichter und damit Emotionen der Figuren fehlen, die aber auf der anderen Seite mit unglaublichen Landschaftsdarstellungen, gezielt gezeichneten Details und Anschnitten ausgesuchter Szenen so viel zu erzählen haben. Illustration und Texte vereinen sich zu einer Bilderbuchgeschichte, die man still und leise liest. Die dahinrauscht, wie die Wellen im Meer, die bewegt und berührt und trotzdem nur den ganz normalen Alltag einer Bergmannsfamilie zeigt. Das Buch ist eine Momentaufnahme einer vergangenen und unwiederbringlich verlorenen Welt.

"Stadt am Meer" ist ein fabelhaftes Bilderbuch für Kinder und Eltern gleichermaßen, das uns einen Rückblick in eine Kindheit gewährt, wie es sie in den Kohle- und Bergbaustädten rund um die Welt zahlreiche gegeben hat. Wie es sie noch gibt. Auch wenn sich diese Geschichte auf einer kanadischen Halbinsel zuträgt, kann sie doch gleichzeitig überall auf der Welt stattfinden. Es ist eine Geschichte, die berührt und bewegt, die aber nicht durch Dramatik betroffen stimmen möchte, sondern ein Denkmal an alle Bergleute und ihre Familien ist.

Details

  • Originaltitel:
    Town Is by the Sea
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    02/2018
  • Umfang:
    52 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • Altersempfehlung:
    5 Jahre
  • ISBN 13:
    9783848901449
  • Preis (D):
    18,00 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Anspruch:
  • Gefühl:
  • Illustration: