Du liebst mich nicht

von Edeet Ravel
Rezension von Janett Cernohuby | 21. Juni 2013

Du liebst mich nicht

Wenn Geiseln mit ihren Geiselnehmern sympathisieren, sie schützen und sich sogar in sie verlieben, ist vom Stockholm-Syndrom die Rede. Man kann sich kaum vorstellen, warum Menschen plötzlich Sympathie für ihre Peiniger empfinden können, einem selbst würde so etwas nie passieren. Doch genau diesen Widerspruch thematisiert Edeet Ravel in ihrem Jugendroman "Du liebst mich nicht", der nun im cbt Verlag erschienen ist.

Eigentlich hat sich die Amerikanerin Chloe ihre Sommerferien anders vorgestellt. Zusammen mit ihrer Freundin Angie nimmt sie an einem Freiwilligenprogramm in Griechenland teil. Dort sollen sie Kinder in einem Gemeindezentrum unterrichten. Als das Programm zu Ende ist, bleiben den beiden Teenagern noch ein paar freie Tage, die sie für Ausflüge nutzen wollen. Doch damit beginnt für Chloe ein Alptraum. Während eines Ausflugs zum Nemesistempel wird sie plötzlich gekidnappt. Mit verbundenen Augen und Beruhigungsmitteln im Blut wird sie an einen unbekannten Ort verschleppt. Kontakt hat sie nur zu einem der Geiselnehmer. Dieser versichert ihr, dass ihr kein Leid geschähe und sie auf jeden Fall am Ende wieder unbeschadet zu ihrer Mutter in die USA zurückkehren kann. Chloe glaubt ihm natürlich nicht. Sie steht Todesängste aus, weiß nicht, was ihr geschehen wird. Wird sie gefoltert, vergewaltigt und am Ende gar getötet werden? Was, wenn die Terroristen erkennen, dass der Staat sich nicht erpressen lässt? Während in ihrer Heimat Mutter und Freunde für Chloes Freilassung kämpfen, beginnt sie aufgrund der Isolation tiefere Gefühle für ihren Peiniger zu entwickeln und erkennt bald, dass sie ihn liebt. Doch er weist sie zurück, erklärt ihr, dass ihre Gefühle nur ein Trugbild ihrer Psyche sind. Doch Chloe weiß es besser. Und sie weiß auch, dass sie nach ihrer Freilassung alles tun wird, um ihre große Liebe zu schützen...

Was müssen das für Todesängste sein, die ein Mensch bei einer Entführung durchsteht? Welche seelischen Qualen erleidet man in der ständigen Angst vor Gewalttaten? Wie gelingt es einem, eingesperrt und völlig isoliert nicht zusammenzubrechen und wahnsinnig zu werden? Mit ihrem Roman versucht Edeet Ravel diese Fragen etwas näher zu beleuchten, es gelingt ihr auf einfühlsame Weise und in einem Rahmen, wie es für jugendliche Leser erträglich ist. Dramatisch schildert sie Chloes Leidensweg in der Gefangenschaft. Ihre Einsamkeit, ihre Hilflosigkeit, ihre Verzweiflung, die letztendlich in Verliebtheit umschlägt. Die Protagonistin lechzt nach Zuwendung und Zuneigung ihres Geiselnehmers. Sie himmelt ihn an und lässt nichts unversucht, ihm näher zu kommen.
Doch wie konnte das geschehen? An welchem Punkt beginnt Chloe ihren Hass in Liebe umzuwandeln? Sind es die zahlreichen Delikatessen, die er ihr mitbringt? Die Spiele, Bücher, DVDs und Sportzubehör? Ist es seine freundliche Art, so viel seiner Zeit bei ihr zu verbringen? Ihr sogar zu ermöglichen, an der frischen Luft spazieren zu gehen?
An manchen Stellen ist der Leser sogar selbst kurz davor zu vergessen, dass Chloe eigentlich eine Geisel ist. Die Entführung - wäre da nicht der Freiheitsentzug - wirkt an manchen Stellen wie eine Exkursion, ein etwas anderer Urlaub. Das erscheint aber auch grotesk und unrealistisch. Du bist meine Geisel, aber ich will dir nichts Böses. Als erwachsener Leser erscheint dieses Szenario ein wenig zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Auf der anderen Seite ist man dennoch erleichtert, dass der Protagonistin nur wenig Leid zugefügt wird. Dass man mit ihr keine stundenlangen Qualen, Schmerzen und Folter ertragen muss. Was dann aber doch zu viel des Guten war, ist die tragische Vergangenheit des Geiselnehmers. Auch er muss auf Gefangenschaft und Folter zurückblicken. Dieses Leid will er seinem Opfer jedoch ersparen. - Das wirkt dann doch ein wenig zu haarsträubend und unglaubwürdig.

Dennoch ist "Du liebst mich nicht" ein unterhaltsamer und lesenswerter Roman. Er fesselt den Leser, das tragische Schicksal einer sechzehnjährigen, die entführt und in völliger Isolation gefangen gehalten wird zu verfolgen. Da es sich bei dem Buch um einen Jugendroman handelt, muss man sich jedoch keine Gedanken über überflüssige und allzu detaillierte Gewaltanwendung machen. Lesenswert ist das Buch durchaus, auch wenn es die eine oder andere Schwachstelle aufzeigt.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    05/2013
  • Umfang:
    320 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • Altersempfehlung:
    13 Jahre
  • ISBN 13:
    9783570308295
  • Preis (D):
    8,99 €

Bewertung

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