Melanie Laibl im Interview

"Ich bin eine richtige Frostbeule."

Beitrag von Janett Cernohuby | 15. Februar 2018

Lange Strumpfhosen und Unterhemden, warme Mützen, Schals und Handschuhe - damit quälen Eltern ihre Kinder, sobald der Kalender Herbst anzeigt. Doch eine Gruppe aufgeweckter Kinder setzt sich zur Wehr. Davon erzählt Melanie Laibl in ihrem Kinderbuch "Verkühl dich täglich". In einem Interview verriet sie uns, wie sie auf die Idee zum Buch gekommen ist - und vieles mehr.

Gerade ist die Lesung aus Ihrem Buch "Verkühl dich täglich" zu Ende gegangen. Wie war es für Sie?

Sehr lustig, sehr lebendig und sehr inputreich seitens der Kinder. Ich genieße es, den Blick der Kinder auf die Geschichte und die Figuren zu sehen. Zu hören, welche eigenen Ideen sie zum Buch haben und was sie selbst damit assoziieren. Das finde ich extrem bereichernd und spannend.

Wie wichtig sind Ihnen diese Lesungen vor Kindern?

Mittlerweile sehr wichtig. Das hat sich mit der Intensität der Lesereisen verstärkt. Wenn man mit dem Schreiben beginnt, ist der schönste Moment noch der, in dem man sein Buch endlich in den Händen hält. Wenn die Geschichte, die man so lange im Kopf getragen hat, in gedruckter Form und mit schönen Illustrationen zu einem Buch geworden ist, durch das man blättern kann. Mittlerweile hat sich das verändert. Natürlich, dieser Moment ist noch immer wunderschön, aber noch schöner ist es, dieses Buch immer wieder mit anderen Kindern zu erleben. Insofern ist mir das wahnsinnig wichtig.

Ihr Buch "Verkühl dich täglich" greift eine ganz typische Kinder-Familien-Problematik auf. Wie war bisher die Resonanz auf das Werk?

Die Kinder finden es lustig. Die Geschichte ist ein bisschen aufsässig und am Ende ziehen ja die Eltern den Kürzeren, während die Kinder als Sieger dastehen.
Ich persönlich hätte mehr Leidensdruck von den Kindern erwartet. Dass sie kommen und sagen "Ja wirklich, das Problem kennen wir. Wir fühlen uns selber so übereingepackt." Das kam viel weniger, als erwartet. Es sind doch viel mehr die Eltern oder PädagogInnen, die sich ertappt fühlen. Kinder dagegen finden die Geschichte lustig, ohne sie zu sehr auf die eigene Situation zu beziehen. Das finde ich eigentlich sehr spannend und ist anders, als ich es erwartet habe. Aber auch sehr schön.

Im Buch geht es ja darum, dass wir Großen unsere Kinder in dicke Sachen wickeln, sobald der Kalender "Herbst" anzeigt. Doch Pauli und seine Freunde setzen sich zur Wehr. - Wie kamen Sie auf die Idee zu dieser Geschichte?

Die Idee kam über den historischen Verein "Verkühl dich täglich", den es in Wien in den 1920/1930er ja tatsächlich gegeben hat. Auf den Verein hat mich eine Nachbarin aus meinem alten Grätzl (Anm. d. R.: Wohngebiet) in Wien gebracht. Bei unserer Abschiedsparty lies die betagte Frau Spuler in einem Nebensatz fallen: "Das ist ja wie damals beim Verein "Verkühl dich täglich".
Das sind Dinge, die sich bei mir festhaken. Ich habe recherchiert und in der Nationalbibliothek wahnsinnig viele Bilder von diesen Kaltbadern gefunden. Da kam mir der Gedanke, dass es total schön wäre, diese Idee des Abhärtungsvereins in die kindliche Welt zu transportieren und einfach Kinder diesen Verein gründen zu lassen.

Hatten Sie beim Schreiben keine Bedenken, den Kindern falsche Signale zu senden, so dass sie möglicherweise auch bei tatsächlichen Minusgraden die warme Kleidung verweigern?

Klar. Man möchte zwar diesen pädagogischen Zeigefinger vermeiden, aber man hat trotzdem eine gewisse Verantwortung mit der Geschichte. Darüber habe ich sehr lange mit dem Lektorat diskutiert. Wir haben gesagt, es sollte eine Ebene geben, in der alles ein bisschen skurril ist und dennoch nachvollziehbar bleibt. Dass jemand den Kindern hilft, ohne dass es allzu sehr wie Hilfe aussieht. Daher gibt es die Heiße Hilde, die ja auch eine extrem schrullige Person ist. Sie ist anders, so wie auch die Kinder anders sind. Sie gibt ihnen diese Thermoskanne, in der was auch immer drinnen ist. Hier haben Kinder immer super Ideen, was da das sein könnte.

Und am Ende gibt es die Auflösung mit den übertreibenden Eltern…

Ja, die großen Großen müssen etwas übertreiben. In diesem Fall gehen sie ohne Hilfe Eisbaden.

Wie nehmen Kinder das auf?

Das lieben sie. Wenn es die Eltern dann so richtig ins Bett legt und der rosa Elefant kommt, das finden sie super. Ich glaube, sie finden es auch schön, dass die, die sonst immer alles wissen, einfach mal auf die Nase fallen. Dieser Twist kommt gut an - genauso, wie ich mir das gewünscht habe.
Auch die Eltern finden das lustig.

Es steckt ja auch immer etwas Persönliches in dem eigenen Buch. Wurden auch Sie als Kind in warmes Wollzeugs eingewickelt, wogegen Sie lautstark protestiert haben?

Lustigerweise packe ich mich selber immer zu warm ein. Mir ist eigentlich ständig kalt. Ich bin eine richtige Frostbeule. Darum neige ich auch dazu, mich selbst zu warm anzuziehen.
Ich war sicher auch ein gut eingepacktes Kind - und ich hatte eine Strickaholic-Oma, die uns auch immer mit Schals, Handschuhen und Hauben versorgt hat.
Ich persönlich liebe Wollzeugs und habe selber viele Schals, Hauben und Handschuhe. Ich stricke sehr gerne.
Ja, es steckt schon etwas Autobiographisches in der Geschichte.

Glauben Sie, dass die Strickalohlic-Oma aus der Geschichte in Kindern den Wunsch nach Handarbeiten weckt?

Bei einer Lesung im Popupstore des mixtvision Verlags haben wir tatsächlich probiert, mit den Kindern einen Finger-Häkelkurs zu veranstalten. Die Begeisterung mit Wolle umzugehen, war ganz groß. Also es kann schon sein - ich hoffe es. Ich selbst finde Handarbeiten etwas sehr Schönes.

Welche Botschaft wollen Sie mit der Geschichte vermitteln? An Kinder. An Eltern.

Mir ging es einerseits um diese Gedankenfreiheit und andererseits um den Zusammenhalt in der Gruppe. Dass man gemeinsam etwas bewegen kann. Ich finde es schön, wenn Kinder sich behaupten und ihren Esprit zur Geltung bringen. In diesem Fall wollte ich aber auch, dass sich die Kinder für das interessieren, was schon da war. Den Wiener Verein. Darum haben wir am Ende des Buchs auch das alte Foto eingefügt. Es sollte zeigen, wie man das damalige in die heutige Zeit transportieren kann.
Mir geht es weniger um eine didaktische Botschaft, sondern darum, dass man mit der Kraft der Fantasie Dinge bewegen kann. Zu zeigen, wohin einen Selbstbewusstsein und Ideenreichtum bringen können.

Ist es für die Kinder enttäuschend, wenn Pauli und seine Freunde dann plötzlich doch wieder zu Schal und Haube greifen müssen, weil die Erwachsenen es übertrieben haben?

Im ersten Moment schon. Aber mit dem Aufruf am Schluss, wo es dann heißt, nächstes Jahr, neues Jahr, neues Spiel - welche Mutproben können wir machen, wie können wir die großen Großen mit einbeziehen, da kommt dann schon ganz viel, was sie wieder Hoffnung schöpfen lässt.

Sie sind seit vielen Jahren als Kinderbuchautorin tätig. Was ist das Besondere daran, für Kinder zu schreiben?

Das Besondere daran ist, sich in diese Erlebniswelt einzufühlen und Themen zu finden, an die Kinder anknüpfen können, gleichzeitig aber trotzdem immer ein Stück vom Thema wegzugehen, um sie nicht zu direkt abzuholen. Was ohnehin schon viele Geschichten machen.
Ich mag sehr gerne den direkten Austausch bei Lesungen. Ich glaube, darin unterscheiden wir KinderbuchautorInnen uns auch ganz wesentlich von Erwachsenenliteraten. Bei unseren Lesungen gibt es nicht diese Sozialisierungen: Lesung - Hinsetzen - Zuhören - brav Klatschen - nach Hause gehen. Stattdessen ist es ein permanenter Austausch mit dem Publikum, ein Dranbleiben, Abholen, Motivieren und gemeinsames Lachen. Für mich ist es immer wahnsinnig spannend, ihre Sicht der Dinge zu erfahren.
Abgesehen davon, macht es mir wahnsinnig Spaß, Themen zu finden, zu verarbeiten und auch sprachlich auszuarbeiten. Kindern zu zeigen, was Sprache kann. Dass nicht nur der Plot für eine Geschichte wichtig ist, sondern jeder Satz und jedes Wort Spaß machen und die Geschichte bereichern kann.

Gibt es beim Schreiben für Kinder auch Sachen, auf die man besonders achten muss?

Es ist die Zugänglichkeit. Man muss immer da Niveau auspegeln, sie nicht zu unterfordern, sondern im richtigen Maß Unbekanntes zu bringen. Hier wägen wir auch viel im Lektorat ab, was selbst entdeckt werden kann und wo es die Erklärungen eines großen Großen braucht. Wie viel darf im Buch erklärungsbedürftig sein? Das ist das Schwierigste, das Niveau zu treffen, so dass das Lesen KindernSpaß macht, sie aber gleichzeitig nicht unterfordert sind. Das ist sehr schwierig. Ich schreibe aktuell an einem Kindersachbuch und hier das richtige Niveau zu treffen, ist nicht leicht.

Dürfen Sie schon verraten, worum es gehen wird?

Ja, das Buch wird bei Tyrolia erscheinen und sich um das Thema Müll drehen. Das wird spannend. Wir wollen eine Brücke zwischen sachlich richtig, breit gedacht und rotzig schlagen. Das wird sehr lustig.
Und gerade beim Kindersachbuch ist es sehr schwierig, die fachliche Korrektheit mit dem richtigen Niveau zu verbinden und trotzdem einen sprachlichen Anspruch zu haben. Da müssen wir KinderbuchautorInnen sehr bewusst mit der Sprache umgehen.

Was ist Ihrer Meinung nach das wichtigste, wenn man für Kinder schreibt? Wie kann man sie erreichen?

Man braucht Herz und Witz in einer guten Mischung. Ich versuche mir beim Schreiben immer vorzustellen, wie es sein wird, das Buch mit Kindern zu lesen.
Man muss sie ernst nehmen und ihnen mit Offenheit begegnen.

Manchmal sind es ganz witzige oder spezielle Situationen, wie man zum Schreiben findet. Gab es auch bei Ihnen einen solchen Schlüsselmoment?

Ich führe es ganz stark auf meine Leseerfahrung von Klein auf zurück. Bei uns zuhause wurde und wird immer noch sehr viel gelesen. Meine Großeltern, meine Eltern. Ich bin mit Büchern aufgewachsen und war eines von den Büchereikindern, die freitags körbeweise Bücher mit nach Hause genommen haben.
Ich glaube, wenn man den Hang zur Sprache hat, gerne liest und sieht, was Geschichten vermögen, bekommt man irgendwann die Lust, selbst zu schreiben. Bei mir war es definitiv der Zugang aus dem vielen Lesen zum Schreiben zu kommen.

Gibt es ein Thema, zu dem Sie immer gerne schreiben wollten, was sich aber bisher noch nicht ergeben hat?

Es gibt einen Stoff, der für ein Jugendbuch geeignet wäre, den ich aber noch nicht in Angriff genommen habe. Ich habe bei uns auf dem Dachboden eine Sammlung alter Briefe gefunden. Die liegt als kleiner Schatz in meinem Arbeitszimmer.

Ich bin immer sehr neugierig, mit welchen Geschichten Autoren groß geworden sind. Welches waren die Kinderbuchhelden Ihrer Kindheit?

Pipi Langstrumpf habe ich geliebt. Sie war eine meiner ganz, ganz großen Heldinnen.
Hatschi Bratschis Luftballon, der Struwelpeter waren die Klassiker meiner Kindheit, die man dann irgendwann mal auswendig gekonnt hat und die auch jetzt noch in Erinnerung sind.
Astrid Lindgren und Michael Ende waren meine ganz großen Favoriten, ebenso Mira Lobe, Christine Nöstlinger, Vera Ferra-Mikura.
Damals gab es diese Diversität noch nicht, All-Age war nicht bekannt. Michael Endes "Die unendliche Geschichte" war für mich das erste Buch, das mir eine größere Sichtweise auf die Dinge gegeben hat.

Wird man bald wieder ein Kinderbuch von Ihnen lesen können?
Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Jetzt im Frühjahr wird bei Nilpferd im G&G Verlag ein Umweltkrimi erscheinen. Das heißt "Stunk in Waldstätten" und befasst sich mit unerklärlichen Geruchsentwicklungen in einem Luftkurort. Außerdem arbeite ich gerade an dem Sachbuch bei Tyrolia zum Thema Mist und Müll, das im Herbst 2018 erscheinen wird.

Liebe Frau Laibl, ich bedanke mich, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben und wünsche viel Erfolg mit Pauli und seinem Verein, aber auch den geplanten zukünftigen Kinderbüchern.

Verkühl dich täglich

Fotos von Michael Seirer Photography
Melanie Laibl im Interview