Lena Avanzini im Interview

Beitrag von Janett Cernohuby | 23. November 2013

Wenn eine Krimiautorin sich dazu entschließt, ein Kinderbuch zu schreiben, darf man auf das Ergebnis gespannt sein. Entsteht dann ein Krimi für Kinder oder ganz etwas anderes? Die österreichische Autorin Lena Avanzini entschied sich für letzteres und schuf ein Abenteuer, in dem ein kleiner Silberfisch zum großen Helden wird. Haustiere mal anders, heißt es in ihrem Kinderbuch 'Hugo, streck die Fühler aus'. Anlässlich der Veröffentlichung ihres ersten Romans, baten wir die Lena Avanzini um ein Interview.

Janetts Meinung: Mit 'Hugo, streck die Fühler aus' haben Sie ihr erstes Kinderbuch veröffentlicht. Was erwartet junge Leser in diesem Buch?

Lena Avanzini: Tolle Zeichnungen von Joëlle Tourlonias. Eine Menge winziger Wesen, die normalerweise gern übersehen werden und in diesem Buch die Gelegenheit bekommen, kräftig aufzudrehen. Einige Abenteuer aus der Silberfisch- und Asselperspektive. Viel Ärger auf zwei Beinen. Noch mehr Mut auf sechs Beinen. Eine furchtbare Bedrohung und eine scheinbar hoffnungslose Situation plus die Erkenntnis, dass kleine Leute viel ausrichten können, wenn sie zusammenhalten.
In erster Linie aber hoffentlich Spaß und Spannung!

JM: Wie kamen Sie auf die Idee, einen Silberfisch in die Rolle des Helden schlüpfen zu lassen? Hatten Sie keine Bedenken, dass Eltern oder Kinder beim Lesen des Klappentextes denken 'Iih, Ungeziefer, davon möchte ich doch nichts lesen!'?

LA: Bei einem nächtlichen Spaziergang ins Bad bin ich Hugo begegnet. Er kletterte gerade senkrecht die Wand hoch und blinzelte hinter dem Zahnputzbecher hervor. Als wir uns nach einigen Wochen besser kannten, hat er mir seine Geschichte erzählt. Igitt? Die meisten Silberfische halten uns Menschen keinesfalls für eklig, behauptet Hugo. Dabei leben sie schon viel länger auf der Welt als wir. Vorfahren der Silberfische gab es bereits vor 300 Millionen Jahren, also sogar vor den Dinosauriern! Wow, ist das nicht faszinierend?

JM: Das Buch endet mit einem vielversprechenden Satz: 'Und morgen winkt vielleicht ein neues Abenteuer.' Ist dies ein versteckter Hinweis zukünftige Abenteuer mit Hugo und Bianca?

LA: Es ist eher als Einladung an alle Leser gedacht, sich ganz nach Lust und Laune selbst neue Hugo-Abenteuer auszudenken oder sie vielleicht sogar aufzuschreiben.

JM: Zu Beginn der Geschichte geht es recht dramatisch und traurig zu. Bei der Reise durch das Abflussrohr verliert Hugo seine Mutter. Darf man hoffen, dass sie sich an einer anderen Stelle den Absprung geschafft hat? Taucht sie vielleicht in einer möglichen Fortsetzung wieder auf?

LA: Silberfische sind sehr schlau und sehr zäh. Daher bin ich felsenfest davon überzeugt, dass Hugos Mutter überlebt hat. Ob sie ihren Sohn je wieder findet? Hugo hofft es natürlich sehr. Darum bittet er alle seine Leser: „Seid nett zu Silberfischen, meine Ma könnte sich in eure Wohnung verirrt haben!“ :-)

JM: In 'Hugo, streck die Fühler aus' findet ein kleiner Silberfisch ein neues Zuhause mit schrägen Bewohnern: einer vegetarischen Spinne als Lehrerin, einer Staublaus, die lieber eine Bücherlaus wäre und Blattläusen, die den Unterricht schwänzen. Ist ihre Geschichte von anderen literarischen oder realistischen Vorbildern beeinflusst?

LA: Von literarischen Vorbildern: nicht bewusst. Als Autor möchte man ja immer etwas noch nie Dagewesenes schreiben: den allerersten Fahrradkrimi, den weltweit einzigen Wüstenspringmaus-Spionagethriller, das erste Narzissen-Liebesdrama usw. Bis man feststellt, dass es alle Ideen schon in Buchform gibt. Also bleibt einem nichts anderes übrig, als trotzdem die Geschichten zu erzählen, die das eigene Hirn so ausbrütet, aber auf möglichst persönliche Art und Weise.
Von realistischen Vorbildern: ja freilich! Die wuseligen und schlauen Silberfische in meinem Badezimmer haben mich zu der Geschichte inspiriert.

JM: Gab es eine Szene, die zu schreiben Ihnen besonders viel Spaß bereitet hat?

LA: Besonderen Spaß haben mir die misslungenen Reime für den Chor der Fruchtfliegen gemacht, aber auch das ambitionierte Gedicht, das Bianca beim großen Fest zum Besten gibt.

JM: Bisher haben Sie eher Kriminalromane für Erwachsene geschrieben. Mit 'Hugo, streck die Fühler aus' haben Sie Ihr erstes Kinderbuch veröffentlicht. Wo liegt der Unterschied zwischen Erwachsenen- und Jugendliteratur? Worauf muss man beim Schreiben besonders achten?

LA: Hm, eine gute Frage und gar nicht leicht zu beantworten, weil vieles intuitiv passiert. Beim Schreiben für Erwachsene denke ich nicht so sehr an die Zielgruppe als an das Genre. Meine Fantasie wird also von den Rahmenbedingungen des Genres und des Plots in die nötigen Schranken gewiesen. Die Geschichte und ihre Protagonisten bestimmen den Tonfall, in dem sie erzählt wird. Wenn ich für Kinder schreibe, hilft es mir, die Geschichte von vornherein einem ganz bestimmten Kind zu erzählen. Sollte ich kein Kind im richtigen Alter kennen, dann erinnere ich mich an meine eigene Kindheit. Dann kommt also die kleine Lena der großen Lena zu Hilfe. Zum Glück trage ich die immer mit mir herum!

JM: Die Mehrbeiner in ihrem Buch sind witzige, charmante Gesellen und wirken gar nicht wie lästiges Ungeziefer. Glauben Sie, dass Kinder, die sich bisher vor Insekten geekelt haben, nach der Lektüre des Buches diese anders sehen?

LA: Meine Hoffnung ist eigentlich nur, dass alle Kinder Spaß beim Lesen haben. Wenn irgendjemand anschließend über das Gelesene nachdenken und womöglich beschließen will, allen, auch den kleinsten Lebewesen in Zukunft mehr Respekt entgegenzubringen, dann ist das wunderschön, aber nicht beabsichtigt. Ich möchte um Himmels willen keine Missionarin sein, sondern Geschichtenerzählerin.

JM: Ist 'Hugo, streck die Fühler aus' an einem speziellen Ort entstanden oder haben Sie das Buch – ganz klassisch – zu Hause in ihrem Arbeitszimmer verfasst?

LA: Die ersten Ideen sind mir in der Badewanne zugeflogen. Aufgeschrieben habe ich sie in meinem Arbeitsraum im Keller, in Gesellschaft der ein oder anderen Assel.

JM: Gibt es Vorbilder, die Ihre Arbeit beeinflussen?

LA: Bewusste Vorbilder gibt es nicht. Unbewusst beeinflussen mich vermutlich all die Autoren der vielen guten Bücher, die ich bisher lesen durfte. Leider viel zu viele, um sie aufzuzählen.

JM: Wird man zukünftig weitere Werke für Kinder - oder sogar Jugendliche - lesen können?

LA: Das hoffe ich sehr.

JM: Was sind Ihre nächsten Pläne oder Projekte?

LA: Ein weiterer Kriminalroman, ein heiterer Frauenroman, eine neue Krimiserie, und dann – wer weiß?

JM: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg mit dem Roman und sind auch schon gespannt auf weitere Veröffentlichungen.

Danke für die spannenden Fragen und Ihnen weiterhin viel Freude und Erfolg!

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